Portrait
Ivo Thalmann, Beruf: Architekt FH BSA, Leiter Bauberatung der Region Biel Seeland des Berner Heimatschutzes. Alle Bilder: zVg.

… mit geschärften Sinnen unterwegs

Eleganz der Form, das Geräusch und das Gefühl während der Fahrt – Ivo Thalmann (53), Architekt in Biel-Bienne und Leiter der Bauberatung Biel Seeland hat viel Sinn für Schönheit und gleichzeitig ein untrügliches Gespür für den gesunden Menschenverstand: «Oft geht vergessen, dass Schönheit in der Architektur am Nachhaltigsten ist. Ein schönes Haus wird von Generation zu Generation weitergegeben. 50% der Energie wird bei der Erstellung eines Hauses verbraucht.» Sein Konzept hat Erfolg.

Sie haben diesen Lieblings-Gegenstand gewählt, weshalb?

Es ist ein Oldtimer aus den 60er Jahren. Ich liebe die Eleganz der Form, das Geräusch und das Gefühl, wenn man darin fährt. Es ist wie eine Zeitreise. Das mag ich auch bei alten Häusern.

Ihr Hauptcharakterzug?

Initiativ und neugierig.

Gab es ein Erlebnis oder eine Person, die Sie entscheidend beeinflusst hat?

Mein Lehrer im letzten Jahr des Architekturstudiums sprach aus meiner Sicht oft kryptisch, was mich mit der Vermutung zurückliess, dass es noch mehr zu entdecken gibt. Diese Neugierde ist mir geblieben.

Die Erkenntnis, dass wunderbar gestaltete Häuser von hoher Qualität durch mediokere Mehrfamilienhäuser ersetzt werden, weil jemand noch etwas Geld «parkieren» möchte. Diese Unbedarftheit Kulturgut gegenüber hat mich zu einem Anwalt für die Baukultur gemacht.

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen und weshalb?

Ich wäre gerne ein Bewegungstalent; ich schaue gerne jemandem zu, der sich gut bewegt, gut tanzt oder schön schwimmt.

Was macht Sie glücklich?

Mit Familie und Freunden unterwegs sein, ein erfolgreiches Projekt, Dinge und Orte entdecken oder frühmorgens über den spiegelglatten See rudern.

Was macht Sie wütend?

Ignorantes Verhalten.

Heimat

Sie sind in Biel/Bienne zu Hause. Haben Sie eine 2. oder 3. Heimat und kann man Heimat austauschen?

Heimat ist nicht unbedingt austauschbar, man kann aber Orte und Personen haben, zu denen man einen Bezug hat. Solche Orte könnten dann die zweite und dritte Heimat sein. In meinem Fall ist das Bern, der Bodensee und noch ein bisschen Zürich.

Gibt es Orte, wo Sie das Entsetzen packt bei der Vorstellung, dass es für Sie die Heimat wäre oder sein müsste?

Oh ja, Es ist die Heimat von Terrassensiedlungen mit Glasgeländer, Steingärten mit blauen Keramikkugeln, Terrainaufschüttungen und Stützmauern aus Granitblöcken.

Baukultur

Wofür stehen Sie als Architekt und Mensch ein?

Ich stehe für verantwortungsvolles Handeln ein, für Respekt gegenüber unserem kulturellen Erbe, setze mich aber auch für eine Weiterentwicklung ein, die an die Kultur denkt, an die Gemeinschaft und die nächste Generation. Individuelles Gärtchendenken zeigt heute sein verunglücktes Gesicht in Dörfern und Städten.

Wir sprechen oft von «guter Baukultur». Was verstehen Sie darunter?

Gute Baukultur beinhaltet umsichtiges Agieren im Ortsbild, den Anspruch des Architekten und des Auftragebers, ein künftiges Baudenkmal zu erschaffen und sich die Frage beantworten zu können, was der individuelle Beitrag an die Allgemeinheit ist.

Sie waren Lehrerbeauftragter an der Fachhochschule Luzern. Ist ein Gespür für gewachsene Orte und Gebäude erlernbar oder trägt man das in sich?

Am wichtigsten sind das Interesse und der Wille, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Erfahrung hilft sicher auch. Das Gespür für qualitätsvolle Orte oder Gebäude vereinfachen den Lernprozess.

Was sagen Menschen bei der Arbeit, im Freundeskreis, in der Familie, wenn sie erfahren, wie wichtig Ihnen gute Baukultur und deren Schutz sind, dass Sie sich freiwillig dafür einsetzen?

Die einen finden es wichtig und gut, die andern fragen sich, woher der Antrieb kommt, wieder andere glauben, dass ich Karmapunkte für den Architektenhimmel sammle...:)

Was ist ihr Lieblingsbeispiel, um aufzuzeigen, dass sich das Engagement für gute Baukultur, lebenswerte Städte und Dörfer in einer ökologisch vielfältigen Umwelt lohnt?

Leider ist es oft so, dass es eher um Schadensbegrenzung geht als darum, einer guten Lösung zum Durchbruch zu verhelfen. Als Beispiel im ersten Fall konnte mit vereinten Kräften eine beispiellose Stadtzerstörung durch eine geplante Autobahn durch das Zentrum von Biel verhindert werden. Als positives Beispiel konnte ich grad kürzlich in der Jury eines Studienauftrags zur guten Entwicklung von Erlach beitragen, das Projekt sieht auch den Erhalt der bestehenden Fabrikanlage vor.

Gibt es Vorurteile, gar Fake News über den «Berner Heimatschutz», die Sie öfters ärgern?

Ärgern wäre übertrieben; ich stelle fest, dass es nicht einfach ist, die Denkmalpflege und den Heimatschutz auseinander zu halten. Im Weiteren höre ich immer wieder, ‘das konnten wir nicht machen, wegen dem Heimatschutz’. In der Regel gibt es immer eine Lösung, allerdings fehlt es manchmal an Fantasie und dem Willen, eine Lösung zu suchen.

Was ist dagegen zu tun?

Einen guten Architekten nehmen und sich als Bauherrschaft auch der Verantwortung bewusst sein, dass man ein Kulturgut umbaut oder erweitert.

Zukunft

Sollen wir noch neu bauen und wenn ja, wie?

Ich denke schon, dass man weiterhin neu bauen kann, allerdings sollten der Qualitätsanspruch und das kollektive Gefühl, etwas für die Gesellschaft zu tun, verstärkt werden. Die Rendite ist nur ein Aspekt von vielen.

Wie können wir erreichen, dass heute die erhaltenswerten Gebäude von morgen entstehen?

Es braucht den Stolz, etwas Schönes erschaffen zu wollen und dabei an die Gesellschaft, die Umgebung und die Zukunft zu denken. Es braucht eine Sensibilisierung für Baukultur bei der breiten Bevölkerung. Und es braucht Investoren, die nicht auf schnellen Gewinn aus sind, sondern die den Anspruch haben, dass die nächsten Generationen auch davon profitieren können.

Der renommierte Berner Architekt Rolf Mühlethaler sorgt sich über die zunehmende Regelungsdichte. Teilen Sie diese Sorge?

Absolut. Man versucht Verantwortung abzugeben, indem möglichst vieles reglementiert wird, ohne dass das Resultat einen Mehrwert bringt. Das beginnt beim Baureglement, das keine guten Häuser garantiert, und endet bei der Bauteilzertifizierung, die weder für Nachhaltigkeit noch Qualität einsteht.

Ein wirklich wichtiger Wunsch für die Zukunft?

Wenig Regeln, dafür gesunder Menschenverstand, der es erlaubt, gute Häuser zu bauen, und ein breites Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft. Dörfer anstelle individualisierter Einfamilienhausträume und Städte anstelle von Siedlungsbau als Dutzendware.

Und übrigens geht oft vergessen, dass Schönheit in der Architektur am Nachhaltigsten ist. Ein schönes Haus wird von Generation zu Generation weitergegeben. 50% der Energie wird bei der Erstellung eines Hauses verbraucht.

Interview Beatrice Born